Schildkröten können fliegen

(Turtles Can Fly)

Regie: Bahman Ghobadi
Start: 5. Mai 2005

Satellit ist der Name eines 13jährigen Jungen, der keine Schildkröte ist und daher auch nicht fliegen kann. Er (Soran Ebrahim) lebt an der türkischen Grenze des Nork-Irak - wie all die anderen Kinder auch - in extremster Armut und kennt sich nicht nur mit Satelliten aus, sondern auch mit Antennen und Fernsehern und wird - selbst wenn er gar kein Englisch kann - von den Bewohnern auch gerne als Dolmetscher für die aktuellen CNN-Nachrichten engagiert. Wir schreiben die Zeit von Saddam Hussein und kurz vor dem Irak-Krieg.

Digah (Abdol Rahman Karim, links) ist Agrins (Avaz Latif, rechts) blinder Sohn, der auch keine Schildkröte ist und weder fliegen noch schwimmen kann.

Fliegen können Schildkröten beispielsweise wenn man sie einen Abgrund hinunter wirft oder wenn sie fest genug auftretend über eine Mime kriechen.

Aber genug der Versuchs einer lustigen Filmkritik, denn all zu lustig ist das Leben der meist verwaisten Kinder nicht gerade. Sie verdienen sich ihren spärlichen Lebensunterhalt durch das Entschärfen von - Entschuldigung - nicht von Schildkröten ausgelösten Landminen, die von Unterhändlern mit einer riesigen Gewinnspanne an die UNO weiter verkauft werden. Und da es mehr Landminen gibt als Schildkröten, stößt ab und an - oder auch öfter - einem Kind selbst ein Unglück zu. Und so kommt es, dass wir nicht nur etwa im Film es mit verstümmelten Charakteren zu tun haben, sondern dass die dahinter verborgenen Laien-Darsteller tatsächlich verstümmelt sind.

Da kann einem schon ganz anders werden - auch wenn Film und Darsteller selbst mit einer Lockerheit darüber hinweg täuschen. Doch das ist es auch, was ich dem Film hoch anrechne. Es legt es nicht darauf an, dass ich mich schlecht fühle, aber lässt denen, die es unbedingt wollen, natürlich den Freiraum dazu. Und ich gebe ihnen die Möglichkeit, so richtig moralapostolisch auf mich einzuschlagen, weil ich es wage, mich einem so ernsten Thema derart dilettantisch anzunehmen.
Sei's drum. Wenn schon Reality-TV, dann bitte solches. Das bringt immerhin auch Dilettanten wie mich dazu, mich damit zu beschäftigen.

KO

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