ON CONNAIT LA CHANSON:
DAS LEBEN IST EIN CHANSON

Alle Filmstudenten kennen Alain Resnais, der Ende der fuenfziger Jahre begann, mit den Avantgarde-Schriftstellern Margerite Duras und Alain Robbe-Grillet zusammenzuarbeiten. Die daraus entstandenen HIROSHIMA, MON AMOUR (1959) und LETZTES JAHR IN MARIENBAD (1961) gehoeren zum Pflichtprogramm, selbst wenn sie manchen Zuschauer eher verwirren. Seit 1993 SMOKING/NO SMOKING zu einem vielstuendigen Langweiler wurde, wie abgefilmtes Theater, hatte Resnais bei mir schlechte Karten. Mit ON CONNAIT LA CHANSON (DAS LEBEN IST EIN CHANSON) jedoch mischt er sie neu. Da hierzulande Guildo Horn gerade den Schlager neu definiert und zugleich wieder aufleben laesst, kommt Resnais' Hinterfragung der damit perpetuierten Platitueden goldrichtig. Denn sein Film wird immer wieder durch bekannte Chansons, zu denen die Akteure ihre Lippen bewegen, kommentiert. Wir hoeren Jane Birkin, Edith Piaf, Gilbert Bécaud, Simone Simon, Dalida und Alain Delon, Josephine Baker, Sylvie Vartan, Serge Gainsbourg, Johnny Halliday, Charles Aznavour, Michel Sardou, Eddie Mitchell und und und. Selbst dem Nicht-Franzosen geht da auf, dass er wahrlich nicht nur die Refrains aus MTVs Madonna-Heavy-Rotation kennt. Um den Witz und Charme dieses fruehlingshaften Filmes zu verstehen, gebe ich hier Auszuege eines Interviews mit den Drehbuchautoren Agnes Jaoui und Jean-Pierre Barci wieder, die auch als Protagonisten auftauchen. (Die beiden haben auch SMOKING/NO SMOKING zu verantworten und UN AIR DE FAMILLE von Cédric Klapisch verfasst.)

"Wie ging die Arbeit an DAS LEBEN IST EIN CHANSON vonstatten?

Agnes Jaoui Aehnlich wie bei SMOKING. Wir nahmen die Szenen auf Tonband auf, indem wir mit verteilten Rollen saemtliche Figuren spielten. Alain hoerte sich das an und teilte uns seine Kommentare per Anrufbeantworter mit. Als die erste Fassung fertig war, setzten wir uns dann regelmaessig zusammen.

Wussten sie, dass viele Lieder in dem Film vorkommen wuerden?

Alain schwebte eine Art Hommage an Dennis Potters Filme wie THE SINGING DETECTIVE vor, die er uns auch zeigte… Alain Resnais ist ein Schoepfer, ein Maler, der nicht bloss ein huebsches Bild malen, sondern gleichzeitig etwas Neues schaffen will.

Hatten sie beim Schreiben bereits die Lieder im Kopf, oder schrieben sie zunaechst ein herkoemmliches Drehbuch?

Zwei, drei Mal diente uns ein Schlager als Inspiration fuer eine Szene. Aber sonst war es so, dass die dramatischen Situationen uns auf ganz bestimmte Liedtexte brachten. Im Grunde haben wir zunaechst ein klassisches Drehbuch verfasst.

Welche Kriterien spielten bei der Auswahl der Lieder eine Rolle?

Jean-Pierre Bacri Entscheidend war, dass wir Lieder finden, die jeder kennt und mit deren Refrains sich jeder identifizieren kann, kurz: echte Schlager.

Schlager zeichnen sich dadurch aus, dass sie universell sind, das kollektive Unterbewusstsein beruehren und die Kultur einer Generation, eines Landes repraesentieren. Gleichzeitig loesen sie bei jedem von uns unterschiedliche Erinnerungen an bestimmte Augenblicke und Ereignisse unseres Lebens aus.

Wichtig war uns auch, dass die Texte sich nahtlos in den Kontext der Dialoge einfuegen, ausserdem durften sie keinesfalls redundant sein und bloss wie eine Art Kommentar zum gerade Gesagten klingen.

Koennen sie Alains Arbeitsweise beschreiben?

Jaoui Vor Drehbeginn organisiert er Einzelproben, die bei ihm zu Hause stattfinden. Dort einigt man sich auf die Psychologie der Figur, die man spielt, und bespricht die einzelnen Szenen. Am Set laesst er seinen Schauspielern enorme Freiheiten. Wenn er mal eingreift, dann nur, weil ihm das Tempo zu lahm ist, oder um uns zu sagen: "Also, ich bin sehr zufrieden mit der Aufnahme, aber falls ihr Lust habt, es noch mal zu probieren, und zwar ein bisschen verrueckter, dann nur zu." Unter seinen Fittichen fuehlt man sich sehr geborgen.

Dass die Liedtexte so nahtlos in die Dialoge uebergehen, ist selten.

Bacri Ich mag Musicals nicht besonders. Wir haben uns deshalb grosse Muehe gegeben, dass die gesungenen Passagen nicht wie extravagante Soloauftritte wirken, sondern stets im Rahmen der Handlung und der geschilderten Gefuehle bleiben. Davon abgesehen singen wir ja keine vollstaendigen Lieder, sondern geben hier einen Satz zum besten, traellern dort einen Refrain. So etwas hat es im Film noch nicht gegeben … "

Stimmt. Originell und sehenswert.

KILLER

Home